Test: Assassin’s Creed Origins

Von Ubisoft und Assassin’s Creed weiß man immer genau, was zu erwarten ist; es ist als würde Ridley Scott Videospiele entwickeln. Es sieht alles gut und nach viel aus, hat eine hochwertige Qualität – und kommt jedes Jahr. Das muss nicht schlecht sein und der Erfolg gibt ihnen in gewisser Weise recht. Was fehlte: frischer Wind; neue, überraschende Elemente, die das Genre voranbringen und vielleicht sogar solche, die das Genre neu definieren würden? Ubisoft genehmigten sich ein Jahr Auszeit mit dem bekannten Franchise über den alten und endlosen Konflikt zwischen Assassinen und Templern. Das Ergebnis bringt zwar keine noch nie dagewesene Sensation mit, dennoch hebt sich Assassin’s Creed Origins von allen seinen Vorgängern ab.

Wir spielen den Protagonisten Bayek von Siwa in der griechisch-römischen Zeit und der Spätphase des ptolemäischen Reiches in Ägypten vor der christlichen Zeitrechnung – kurz vor der Übernahme durch das römische Reich. Als respektierter Medjay (Salopp: der örtliche Sheriff) war es Bayeks Aufgabe im Namen seines Dienstherrn für Ordnung in den Siedlungen und Ortschaften zu sorgen. Doch als Bayek und sein Sohn von maskierten Anhängern eines Ordens entführt werden, gerät sein bisheriges Leben aus der Bahn. Ein Jahr später findet euer Held die maskierten Anhänger des Kults, um einen nach den anderen umzubringen.

Die Geschichte wirft euch ohne ausschweifende Erklärungen ins Geschehen, was ein gutes Tempo vorgibt. Ziemlich schnell stellt sich dann jedoch das gewohnte Open-World-Prozedere ein, bei dem ihr das Tempo, mit dem ihr die Hauptstory voranbringt, zum größten Teil selbst vorgibt. Die Quests sind übersichtlich in Nebenaufgaben und Hauptaufgaben sortiert, zeigen die jeweilige Entfernung zum Bestimmungsort an und das empfohlene Level unserer Spielfigur für diesen Quest. Letzteres ist ein äußerst wichtiger Indikator, denn mit jedem Levelaufstieg erhaltet ihr nicht nur einen Attributspunkt, mit denen ihr Fähigkeiten freischaltet, sondern auch die Gesundheit von Bayek und der Schaden im Kampf erhöhen sich.

Und selbst auf dem Schwierigkeitsgrad ‘normal’ sind Gegner höherer Stufen nicht zu unterschätzen, und können einen das Leben schwermachen. Man wird also dazu ermutigt und zum gewissen Grad ‘gezwungen’, die Nebenaktivitäten abzuschließen; der Erfahrungsgewinn allein durch die Hauptquests reicht nämlich nicht aus, um in jedem Fall sofort den nächsten anzugehen. Anders als in Destiny 2, wo ihr gar nicht erst die Möglichkeit habt, einen Hauptquest zu beginnen, solltet ihr nicht das notwendige Level haben, könnt ihr in Origins euch trotzdem an entsprechend schwierige Quests versuchen, die dann mit Geschick, Geduld und Schleichen möglicherweise abzuschließen sind.

Die Regieführung der Cutscenes sind auf gewohntem guten Niveau, das man von Assassin’s Creed kennt. Dennoch kommt sie nicht an andere Genre-Vertreter, wie z.B. The Witcher 3, heran. Der Bruch zwischen statischen Dialogen, in denen dem Spieler zwar die Kontrolle genommen wird, die Charaktere sich aber nur gegenüberstehen, und einem oft unsauberen Übergang zu den gescripteten Zwischensequenzen, ist deutlich merkbar; wie auch schon in Dragon Age: Inquistion oder Mass Effect: Andromeda. Es fehlt etwas an Konsistenz, wenn bei einigen Nebenquests Bayek sich statisch und ohne Gesprächsanimationen mit einem Charakter unterhält, und ihr bei anderen Nebenquests eine Regiearbeit auf Hauptquest-Niveau erlebt.

Was die Hauptquests angeht, so bestehen diese zumeist aus investigativen Untersuchungen, was an Sherlock Holmes oder The Witcher 3 erinnert, aber auch schon aus Assassin’s Creed: Unity und den DLCs von Syndicate bekannt ist, und das Eliminieren von Personen. Obwohl ihr anfangs noch hauptsächlich maskierte Schurken jagt, um der Rache von Bayek nachzugeben, werden später Schlüsselfiguren ausgeschaltet, die verschiedene Regionen in Ägypten tyrannisieren und unterdrücken. Das ist nicht besonders originell, reißt mich nicht vom Hocker und vermisst überraschende Wendungen, die interessanterweise von Nebenquests öfter geboten werden.

Zum Glück haben Ubisoft gute Erfahrungen gemacht mit der Charakterdynamik, die Jacob und Evie Frye in Assassin’s Creed: Syndicate boten. Deshalb ist Bayek nicht nur auf sich allein gestellt, sondern wird von seiner Ehefrau Aya begleitet. Sowohl in vielen Zwischensequenzen, als auch in Missionen. Die Beiden tauschen nicht nur Zärtlichkeiten aus, sondern kämpfen außerdem, diskutieren und schmieden Pläne. In einigen Abschnitten dürft ihr sogar die Kontrolle von Aya übernehmen. Ein jederzeit mögliches Wechseln, wie in Syndicate zwischen Evie und Jacob, ist nicht möglich.

Die Aktivitäten zwischen den Hauptquests, während man von einem zum nächsten reist, fangen ab einer Weile an, sich zu wiederholen: jagen, Türme erklettern, Bösewichte ausschalten, Leute befreien, und Grabmäler plündern. Letzteres beschert mir fast schon ein schlechtes Gewissen, wenn man die schatzgefüllten Totenstätten früherer Persönlichkeiten plündert – was vermutlich auch damals zutiefst unethisch war. Ein Glück, dass sich Bayek während des Plünderns mit ein, zwei vertonten Zeilen dafür entschuldigt. Wenn die Diskrepanz zwischen den Ebenen Gameplay und Erzählung so wie hier deutlich wird, zeigt Bayek immerhin etwas Selbstwahrnehmung; etwas, das beispielsweise John Marston in Red Dead Redemption fehlte, wenn wir unschuldige Leute erschossen, Kutschen überfielen und einen zweifelhaften Ruf erwarben, obwohl Marston doch eigentlich das ganze Spiel über versuchte, sich von diesem Leben des Outlaws zu verabschieden.

Spieler- und Charaktermotivation harmonieren, im Vergleich zu anderen Spielen, gut in Origins. Manchmal fragt man sich, ob man angesichts einer kurz bevorstehenden, weltzerstörerischen Bedrohung (zum Beispiel in Mass Effect, Dragon Age oder anderen Exemplaren), noch die Zeit hat, ein verlorengegangenes Erbstück, Buch oder ein paar Handschuhe eines beliebigen NPCs zu suchen, der sich ausgerechnet dem Protagonisten, also uns Spieler, anvertraut. Ähnlich wie in The Witcher, ist es als Medjay immerhin unser Job, sich auch um die ‘trivialen’ Angelegenheiten des einfachen Volkes zu kümmern. Und der Rache schadet es nicht unbedingt, wenn man sich ein paar Stunden oder gar Tage damit ablenkt, einen weggelaufenen Ehemann zu seiner Frau zurückzubringen oder einem Archäologen seine Aufzeichnungen über die Pyramiden von Gizeh wiederzubeschaffen.

Und was macht Origins anders gegenüber seinen Vorgängern? Bereits in den ersten fünf Spielminuten werdet ihr eine große Änderung bemerken: Das Kampfsystem wurde wie versprochen generalüberholt. Bayek ist mit Abstand der fähigste Assassine bisher, was vor allem die Kampffertigkeiten betrifft. Das Rezept dieses befriedigendem Kampfsystems besteht aus einem schnellen und aggressiven Durcheinander, Schild-Durchbrüche in Slow Motion, aufgeladene Kraftschläge, explosivartige Entladungen von Kombos und brutale, blutspritzende Finisher, und einem schnellen Wechsel zwischen Waffen und damit Kampfstilen – in einer Sekunde ausufernde Schwünge mit einem Speer, der gleich mehrere Gegner auf einmal zu Boden schickt; in der nächsten, schnelle Hiebe mit zwei Schwertern, mit denen wir einen ungepanzerten Gegner blitzartig filetieren. Zwischendurch der Wechsel zum Bogen, um den entfernten Bogenschützen anzuvisieren: die Sehne entspannt sich und schießt eine Salve von drei Pfeilen vorwärts, die den feindlichen Schützen direkt umwirft. Vorbei ist das stumpfe Warten auf eine Kontermöglichkeit mit gedrückter Blocken-Taste, und vorbei die Zeiten von trägen und indirekten Kämpfen der Vorgänger. Die gute Ansprechbarkeit der Steuerung findet sich auch in Bayeks Bewegungen durch die Welt wieder. Eure Spielfigur macht das, was ihr wirklich wollt: Der Held bleibt selten hängen und weigert sich nicht mehr herunterzuklettern oder zu springen.

Außerdem habt ihr die Möglichkeit Ausrüstung und Waffen zu verbessern. Bei einem Schmied kann jede Waffe oder jeder Schild gegen bare Münze aufgelevelt werden. So müsst ihr euch nicht mehr von euren Lieblingen trennen, wenn der Schaden mit zunehmenden Level und Schwierigkeit nicht mehr ausreicht. Das Verbessern anderer Ausrüstungsgegenstände hingegen, zum Beispiel euer Brustpanzer, benötigt Handwerksmaterialien wie Holz und Leder. Diese Materialien bekommt ihr durch das Zerlegen nicht benötigter Gegenstände oder durchs Jagen von Wildtieren.

Die visuelle Präsentation kann einen selbst heutzutage, in Zeiten von Uncharted 4 und Mass Effect: Andromeda, noch ins Staunen versetzen. Egal ob eine nahezu uneingeschränkte Weitsicht, realistische Wasserwellen und Reflektionen, vom Wind beeinflusster Rauch und zahlreiche Details wie eine interaktive Bevölkerung. Spätestens, wenn man die Pyramiden erreicht, dient die immersive Spielwelt als virtuelle Zeitmaschine und lässt euch wahrhaftig eintauchen in die Welt der Ptolemäer. Die Welt ist nicht nur schön modelliert und texturiert, sondern strotzt vor Details. Bauwerke der Griechen unterscheiden sich von den ägyptischen Monolithen; die Bevölkerung geht ihrem Tageswerk nach – in Schmieden, an Markständen oder in Töpfereien. Dabei können wir sogar beobachten, wie NPCs die Töpfe aus ihren Gussformen herstellen und an anderen Orten weiterverarbeiten. Ohne einer vom Spiel vorgegebenen Erklärung kann man tatsächlich etwas über die längst vergangene Gesellschaft lernen. Auch Bayek ist interaktiver mit seiner Umwelt durch kontext-sensitiven Animationen. Geht ihr aufrecht und langsam durch hohes Gras, streift Bayek mit seiner Hand über die Grashalme; nähert ihr euch einer Feuerstelle, wärmt er sich dort ausgestreckt seine Hände; steht ihr auf einem Boot, lehnt er sich an dessen Mast.

Insgesamt fühlt sich Origins fast mehr nach einem Rollenspiel an, als nach einem typisches Assassin’s-Creed-Spiel. Dennoch ist dieser Teil klar von klassischen Action-Rollenspielen abzugrenzen. Es fehlt die Nichtlinearität solcher Spiele, beispielsweise The Witcher oder Fallout: New Vegas. Origins hat also viel mehr Gemeinsamkeiten mit Horizon: Zero Dawn, das sich ebenfalls vieler Rollenspiel-Elemente bedient. Ein weiteres Zeugnis, dass heutzutage die Grenzen zwischen Genres mehr verschwimmen und wir viele genre-übergreifende Elemente in den unterschiedlichsten Spielen finden.

Das Spiel bleibt dem Prinzip des Open-World-Baukastens treu und erbt daher die üblichen Probleme, die damit einhergehen. Der narrative Spannungsbogen lockert sich jedes Mal, während man etliche Spielminuten damit verbringt, einem Wegpunkt zu Folgen; selbst man sich nicht von Nebenaktivitäten ablenken lässt. Aktivitäten, die sich dann auch noch wiederholen, und Nebenquests, welche teils interessante Geschichten bieten, aber keinerlei Verzahnung (und damit Relevanz) zum Hauptquest aufweisen und damit eher wie ein Themenpark wirken, als ein Teil einer großen, zusammenhängenden Geschichte. Auf der Plus-Seite bietet dieser Baukasten stundenlange Unterhaltung für diejenigen, die diesem Konzept zugeneigt sind.

Ubisoft erfinden hier das Rad nicht neu, verbessert aber das bekannte und althergebrachte Konzept deutlich, und erschafft tatsächlich das bisher beste, bündigste und detaillierteste Assassin’s Creed. Für das nächste Assassin’s Creed sollten sich Ubisoft ebenfalls ein weiteres Jahr Zeit lassen, auf Plotebene und bei den dramaturgischen Verknüpfungen einzelner Plotelemente Verbesserungsarbeit leisten, und mit einer innovativen Open-World-Idee aufwarten, anstatt sich nur bekannter Bausteine zu bedienen.

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