Two for one.
Auch dieses Jahr gehen wir mit Ubisoft im neuen Teil der beliebten Serie auf Zeitreise. Dampfmaschinen und industrielle Revolution: Willkommen im viktorianischen London!
Egal ob für Charles Dickens, Karl Marx oder Charles Darwin: Wieder einmal dürfen wir in Assassin’s Creed für historisch angelehnte, aber charmant überzeichnete Figuren, und für die Assassinen-Gilde zahlreiche Aufträge erfüllen. Beschattung, Meuchelmord, Sabotage oder Entführung. Alles natürlich für die gute Sache! Und damit der Spieler sich dieses Mal so richtig austoben darf, dürft ihr gleich zwei Charaktere spielen. Geschwisterpaar Jacob und Evie Frye. Während er, der Hau-Drauf-Typ, London aus der verkörperten politischen und wirtschaftlichen Macht namens Crawford Starrick befreien will und die Gangrivalitäten an den Film “Gangs of New York” erinnern (ich weiß nicht ob die Ähnlichkeit von Starrick mit Daniel Day-Lewis zufällig ist…), bevorzugt sie, Schwesterherz Miss Frye, den subtileren, aber nicht weniger tödlichen Weg, um gegen die Templer vorzugehen. Die in ihren Augen die eigentliche Bedrohung darstellen, in einem Konflikt, der schon seit Assassin’s Creed 1 andauert; im Spiel also seit einigen hundert Jahren.
Was sofort auffällt: Mehrere Hauptcharaktere funktionieren unglaublich gut. Das wissen wir spätestens seit GTA V. Die Dynamik, die Jacob und Evie an den Tag legen, sind amüsant wie ebenso authentisch. Jacob als Witzbold mit losem Mundwerk und Evie als ermahnende Schwester, die auch ihre Momente hat und keineswegs lästig wird. Die unglaublich gute deutsche Vertonung, die Ubisoft mal wieder abliefert, tut ihr übriges für die Sympathiepunkte beider Protagonisten. Diese gute Charakterdynamik hat Ubisoft geschickt in die Lösung des Problems des Gender-Shitstorms (man ignoriere weibliche Helden und könne nur oberflächliche, weibliche Figuren liefern) verwoben. Man lernt also.
Leider spielen sich dafür beide Charaktere zu gleich und auch der einfache Talentbaum sorgt für keine wirklich differenzierte Fertigkeitsausprägung und Spielweise. Etwas schwach ist die Ausarbeitung der Talentbäume, die bis auf zwei, drei Abschlussfertigkeiten ganz zum Ende, komplett identisch sind. Hier hätte man noch dafür sorgen können, dass sich beide Charaktere wirklich unterschiedlich spielen. Da die einzigartigen Fertigkeiten erst zum Schluss auftauchen, gilt der Ansatz “Evie für’s Schleichen, Jacob für’s Grobe”, gerade am Anfang eben nicht. Theoretisch kann ich aus Evie nämlich auch eine Prügelmaus machen. Hier gibt es also keine wirkliche Unterscheidung, kein einzigartiges Equipment, was nur dem jeweils anderen zur Verfügung steht. Das ist viel verschenktes Potential.
Die Mechaniken aus Black Flag, die aus den immer gleichbleibenden Gameplay-Trott eine frische Brise erschuffen, nämlich Seefahrt und Stadtumland, wurden gestrichen. Dafür gibt es nun neumodische Vehikel: Kutschen! Deren action-orientierte Steuerung stark an GTA erinnern. Rasante Sprünge von Dach zu Dach, Zugwagon oder Schiff erinnern an Just Cause. Viele Missionen finden zudem in Gebäuden statt, was die Stadt mit viel Leben erfüllt und die ganze Atmosphäre authentisch statt kulissenhaft erscheinen lässt. Man tauscht also die Wildnis früherer Teile gegen Stadt und Interieur wie Fabriken, Anwesen, Wohnungen und anderen Institutionen in denen geschleicht wird und man sich oft auch orientieren muss.
Es macht Spaß Ressourcen zu sammeln, um neue Ausrüstung herzustellen, Gang-Upgrades zu kaufen oder bei Kutschen-Rennen und halblegal organisierten Faustkämpfen die Sau rauszulassen. Auch hier hat sich Ubisoft also eine Alternative zu den Schiffs-Upgrades einfallen lassen. Kommt aber trotzdem nicht so cool rüber, da in Black Flag das Schiff aktiv und action-orientiert gesteuerte wurde, die Gang in Syndicate jedoch nur passiv ist und manuell angeheuert werden muss (besser wäre z.B. ein Gang-Upgrade, das mir die Möglichkeit des automatisierten Anheuerns für eine Mission bietet). Die Aufträge sind abwechslungsreicher als bei seinen Vorgänger und die Grafik sorgt für ein unglaublich authentisches London, wenn etwa in der Abenddämmerung der Regen sichtbar wird durch die noch letzten Sonnenbüschel, die über die Ziegeldächer hinwegscheinen.
Fazit: Erstklassige Grafik, wie ich sie 2015 erwarte. Abwechslungsreiches Gameplay und interessante wie amüsante Charakter-Interpretationen bekannter Persönlichkeiten. Fans der Serie bekommen gewohnte Kost auf hohem Niveau. Wer noch nie etwas mit Assassin’s Creed anfangen konnte, fängt auch jetzt nichts damit an.
Was nervt:
– lange Ladezeiten, vor allem auf Konsole
– … auf dieser nur 900p-Auflösung
– stellenweise immernoch hakelige Steuerung
– geringe Grafikeinstellungsmöglichkeiten (PC-Version)
– gelegentliche KI/NPC-Aussetzer und Glitches
– … die immerhin amüsant sein können
– nur wenig neue Konzepte und Spielelemente
– inkonsequenter Talentbaum, nahezu keine Spezialisierung
– … deshalb spielerisch kaum Unterschiede zwischen den Figuren