Test: Hellblade: Senua’s Sacrifice (PC)

Hellblade: Senua’s Sacrifice erzählt eine Geschichte über Leid, Aufopferung, Verlust und Dunkelheit. Ihr folgt der Geschichte der Pikten-Kriegerin, Senua, und begebt euch auf eine albtraumhafte und verstandverdrehende Reise, zwischen Realität und Wahnvorstellung, nach Helheim, um die Seele eines geliebten Menschen zu retten. Dabei erscheinen viele Dinge surreal und jenseits unseres Vorstellungsvermögen – denn Senua leidet an schwerwiegender Psychose. Oft könnt ihr nicht unterscheiden, was real ist und was nicht, und müsst währenddessen viele Hindernisse überwinden und Gegner bezwingen, die direkt aus der Hölle emporgestiegen zu sein scheinen.

Die Prämisse der Entwickler war vage und mutig zu gleich: ein Spiel zu kreieren, das den Anschein eines hohen Produktionswertes hat, zu gleich aber äußerst kosteneffizient entwickelt werden soll und Themen und Motive anspricht, die untypisch für den AAA-Sektor sind.

Starke weibliche Hauptrollen sind im Kommen, aber eine Figur wie Senua, die solch starke Psychosen aufweist und in Szenen so verletzlich wirkt und trotzdem authentisch wirkt, sieht man trotzdem selten. Dazu kommt das unverbrauchte Setting des frühen Mittelalters zur Zeit der Kelten und Überfälle der Wikinger. Obwohl Senua nicht dem typischen Bild einer oft in Videospielen präsentierten Heldenfigur entspricht, ist sie visiert im Schwertkampf und überkommt viele Hürden und Abscheulichkeiten, die viele von uns psychisch zerschmettern würden. Trotz ihres Zustands gibt sie nicht auf und stellt sich den Gefahren.

Viel mehr kann man nicht von der Geschichte verraten, ohne vorwegzugreifen. Denn anders als in vielen anderen Erzählungen, gibt es in Hellblade keine Exposition und keine Metainformationen. Der Sinn vieler – vor allem verstörender – Ereignisse erschließt sich nicht immer sofort. Die Aufgabe ist jedoch stets klar: überquere die Brücke nach Helheim.

Das Storytelling präsentiert sich nichtlinear: Rückblenden erscheinen, Erinnerungen und Vergangenheit überlagen das gegenwärtige Geschehen. Die Präsentation ist verblüffend und die stückchenhafte Zusammensetzung des Großen und Ganzen fesselt – ich möchte unbedingt wissen, was in Senuas Vergangenheit vorgefallen ist und wie alles ausgehen wird.

Das Gameplay könnte man, zynisch formuliert, als ‘Walking-Simulator mit Kämpfen’ betrachten. Dennoch war ich überrascht, mit welchen Elementen und kleinen Abwechslungen das Spiel überraschte. Anstatt nach Schlüsseln für verschlossene Türen zu suchen und sich einem extra Interface zu bedienen, müsst ihr die Umgebung aus dem richtigen Blickwinkel betrachten und Ähnlichkeiten mit den Runen auf besagter Tür finden. Durch diese Art Rätsel erhaltet ihr schon Hinweise auf die Welt und Senuas Verstand, dem nicht allzu viel Vertrauen geschenkt werden sollte. Manch einer mag diese Art Rätsel als tempomindernd und langatmig empfinden – genauso wie vermutlich das Suchen nach Ausrüstung und Schlüsseln in Zelda, Dark Souls und vielen anderen Spielen, die dem Spieler Geschick, Spürsinn und Verstand abverlangen, richtig?

In einer Szene sieht Senua nichts als Dunkelheit. Während sie den Arm ins ungewisse ausstreckt und versucht ihr Umgebung mit der Hand zu ertasten, muss der Spieler zum Ausgang und an Gegnern vorbeisteuern. Ihr seht nur Senua im Zentrum des Bildes und nebulöse Schemen durch einen dichten Grauschleier, und können gerade mal Umrisse erkennen. Dieser Schleier wird etwas durchsichtiger, je länger sie stehen bleibt und sich auf ihre anderen Sinne konzentriert. In einer anderen Szene muss sie schnell von einer Lichtquelle zur nächsten gelangen, um nicht von der Dunkelheit verschlungen zu werden.

Gegner oder andere Gefahren, die man nicht bekämpfen kann, haben einen gewissen Reiz in einer Videospiellandschaft, in denen es kaum etwas gibt, was der Held nicht bezwingen kann. Das gab auch schon Prince of Persia: Warrior Within eine gewisse Gewürze, wo man doch sonst alle Gegner abschlachten konnte, vor dem Dahaka, eine übermächtige und mystische Kreatur, aber mittels akrobatischer Einlagen fliehen musste. Andere Spiele wie Outlast oder Amnesia treiben es etwas zu weit, wenn man nicht einmal einen Stein aufheben kann, um sich zumindest ansatzweise zu verteidigen. Die Ebenen zwischen Gameplay und Erzählung klaffen dort weit auseinander. Hellblade löst dieses Problem besser.

Das Kampfsystem ist bei weitem nicht komplex, bietet dennoch viele Mechaniken. Es gibt einen schnellen und kraftvollen Angriff, einen kurzen Ausweichschritt, eine Ausweichrolle sowie Blocken und Parieren. Angriffskombinationen werden ausgelöst durch unterschiedliche Eingaben zwischen schnellem und kraftvollem Angriff und mit kleinen Verzögerungen zwischen den Tasteneingaben. Nach einer erfolgreichen, perfekten Parade, die durch zeitlich gut abgestimmtes Blocken ausgelöst wird, eröffnen sich uns weitere Combos. Im späteren Spielverlauf könnt ihr die Schläge noch aufladen, um mehr Schaden anzurichten, und die Zeit verlangsamen.

Die Kampfanimationen sind schnell, die Eingabe funktioniert präzise und ist äußerst gut ansprechbar. In The Witcher 3 holt Protagonist Geralt oft schwungvoll aus, selbst bei einem schnellen Angriff, oder entscheidet sich für eine Pirouette oder Rolle zum Gegner, was ihn häufig verwundbar macht. Oft hat man das Gefühl, keine genaue Kontrolle über seine Aktionen zu haben und ärgert sich über Treffer, die hätten vermieden werden können. Das gibt es in Hellblade nicht. Angriffe kommen mit minimaler Verzögerung, die Animationen sind stets gleich und damit für euch vorhersehbar und gut zu kontrollieren. Ihr könnt einen Schwertstreich jederzeit durch einen Ausweichschritt oder durchs Blocken abbrechen. Die dadurch manchmal etwas unsauberen Übergänge der Animationen sind zugunsten der äußerst guten Spielbarkeit vernachlässigbar. Die Kämpfe sind intensiv und funktionieren einfach. In diesem Sinne ist das Kampfsystem makellos.

 

Visuelle und akustische Hinweise helfen euch nicht nur in Kämpfen, wenn Senuas Stimmen sagen, “watch out!” oder, “behind you!” Oder, wenn die Triskele auf Senuas Spiegel blau aufleuchten und euch damit signalisieren, dass euer Fokus, und damit die Slow-Motion, wieder zur Verfügung steht. Auch beim Lösen von Rätseln, helfen euch optische und akustische Signale und zeigen, ob ihr in der Nähe des richtigen Ortes seid, wenn zum Beispiel Runen anfangen über den gesamten Bildschirm zu laufen – keine Texte, keine Popups, keine HUD-Einblendungen.

Bisher klingt alles, abgesehen von der Story, nach AAA. Nachdem ich gerade erst vor ein paar Tagen The Order 1886 durchgespielt habe, bemerke ich Parallelen (während The Order 1886 zum Zeitpunkt seines Release ein Vollpreistitel war, wird Hellblade für 29,99 EUR verkauft – plattformunabhängig. Nebenbei erwähnt.) Da ist zum einen die Spiellänge, die von Hellblade ähnlich kurz ausfällt: lediglich 6 bis in den seltensten Fällen 10 Stunden, dauert es, bis ihr das Ende von Senua’s Reise erreicht. Dafür bekommt ihr äußerst intensive Spielstunden zum fairen Preis. Der Wiederspielwert läuft jedoch gegen null, obwohl ich nicht ausschließen will, dass niemand dieses Spiel je ein zweites Mal spielen wird. Prince of Persia: Warrior Within sowie seinen Nachfolger habe ich auch mehrmals durchgespielt. Einige Spielerfahrungen sind einfach so gut, dass man sie nach einer gewissen Zeit ein weiteres Mal erleben möchte – zu diesen Spielen gehört Hellblade. Bis auf eine Ausnahme gibt es leider auch keine sammelbaren Objekte zu finden, und damit auch wenig Anreiz, die Gegend abseits der Hauptwege zu erkunden.

Und oft auf genau diesen, findet ihr so genannte ‘Lore Stones’. Diese erzählen Senua, durch die Stimme eines alten Freundes, Geschichten aus der Vergangenheit und der nordischen Mythologie, soweit und wie sie uns, in der Realität, ebenfalls überliefert sind. Anfangs mag man sich fragen, was diese Hintergrundinformationen mit der Geschichte zu tun haben, wo wir eigentlich keine Wikingerin spielen; nicht einmal eine Skandinavierin. Rechtfertigt alleine der Ort, vermutlich Norwegen oder Dänemark, dass wir etwas über Nordische Mythologie erfahren? Was anfangs willkürlich erscheint, um dem Spiel eine Nordische Note zu geben, ergibt im Laufe der Geschichte Sinn, wenn wir die Rolle der brutalen Seekrieger verstehen.

Das ist jedoch nicht der einzige Aspekt, der das Indie-Siegel von Hellblade zeigt. Bis auf die Endgegner, die zwar sehr cool designt sind, aber wenig in der Anzahl, trefft ihr auf immer die gleichen Gegner. Es gibt, abgesehen von den Bossen, etwa vier, fünf unterschiedliche Gegnertypen, die eine etwas andere Kampftaktik erfordern. Die Erscheinung eines Typs ist jedoch immer gleich und zeigt wenig Abwechslung.

Hellblade überzeugt mich ausgesprochen gut auf narrativer Ebene und mit seiner Steuerung; vor allem in den Kämpfen. Der unorthodoxe und nichtlineare Plotverlauf wirft zwischendurch immer wieder Fragen auf, beantwortet sie aber im Laufe des Spiels auch, was mir oft ein, ‘Aha!’ entlockte. Die hochstilisierte Präsentation sowie die Atmosphäre zog mich völlig in ihren Bann. So sehr, wie in diesem Jahr kein Spiel zuvor. Ich wurde regelrecht verschlungen und mein Verstand schottete sich von allem um mich herum ab. Senuas Realität wurde zu meiner. Dafür verantwortlich war nicht nur die schauspielerische Hochleistung von Melina Jürgens, sondern auch das Sound-Design. Hellblade nutzt nämlich binaurales Audio für seinen 3D-Surround-Effekt (Dabei wird Sound mit zwei Mikrofonen aufgezeichnet, die an einem künstlichen Kopf mit nachgebildeten Ohren befestigt sind. Der Schallwellen treffen dadurch so auf das Mikrofron, wie es auch bei unseren Ohren der Fall wäre.) Wer Kopfhörer beim Spielen trägt, was ich für dieses Spiel ausdrücklich empfehle, kann Senuas Stimmen nicht dichter erleben und die Soundeffekte sowie Musik nicht intensiver.

Hellblade ist eine außergewöhnliche Spielerfahrung und gehört nun, und das sage ich nicht leichtfertig – durchsucht gerne meine Reviews – zu meinen absoluten Lieblingsspielen. Spielt dieses Spiel, lasst euch Zeit und darauf ein.

Hellblade: Senua’s Sacrifice ist erhältlich via Steam, GOG.com und PlayStation Store für 29,99 EUR.

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